

Wenn wir fiktionale Geschichten erzählen, bewegen wir uns in fremden Welten. Durch die ersten Kapitel eines Romans, die sogenannte Exposition, gelangt der Leser in diese Welt hinein.
Ich liebe es, Welten zu erfinden oder mich beim Lesen von Geschichten in diese hineinziehen zu lassen. World Building (deutsch Welten bauen) nennen wir das Erfinden einer Welt, in der unsere Protagonisten sich bewegen und handeln.
Wer jetzt direkt an Fantasy und Science Fiction denkt, hat gewissermaßen Recht, und doch auch nicht. Denn auch eine Geschichte, die im Hier und Jetzt spielt, mit einem Protagonisten, der keine besonderen Kräfte hat oder eine Fantasiefigur ist, braucht eine eigene Welt. Ein historisches Melodram spielt sich in einer anderen Welt ab als ein Politthriller.
Und diese Welt will unserem Leser erklärt werden, damit er sich in ihr zurechtfinden kann. Ich persönlich finde es fantastisch, in eine Welt fernab meiner eigenen einzutauchen. Denn sie hat, ganz gleich, welches Genre, immer eine eigene Kultur und Eigenheiten im Gepäck.
Wie man es nicht macht (Infodumping)
Wenn unser Leser gar nicht mitbekommt, wie sich die Welt eines Romans langsam in seinem Kopf aufbaut, haben wir alles richtig gemacht. Aber es ist leider alles andere als ein Kinderspiel, eine Welt langsam und stetig aufzubauen. Zwischendurch holen wir den Holzhammer heraus und geben mit blinkenden Lichtern den Hinweis: „Achtung, das ist jetzt wichtig!“
Im internationalen Jargon nennt man das Infodumping, ein deutsches Wort gibt es dafür (noch) nicht. Immer dann, wenn (wichtige, keine Frage!) Hintergrundinformationen über die Welt und die Figuren plump und offensichtlich hingeworfen werden, ist es wieder passiert. Ein Infodump, mit hoher Wahrscheinlichkeit mitten in der Exposition.
Häufig passiert das, wenn wir zu Beginn unserer Geschichte alles auf einmal loswerden wollen, weil wir denken, dass sich unser Leser dann besser zurechtfindet: Wie in einem Lexikonartikel laden wir Infos über die Hauptfigur, die Welt, den übergeordneten Konflikt bei unserem Leser ab. Vor allem Prologe und die ersten Kapitel – die klassische Exposition – sind davon betroffen. Denn viele Autoren haben Angst, dass der Leser abspringen könnte, wenn er die Welt oder die Hintergründe der Handlung nicht direkt nachvollziehen kann.
Damit dir beim nächsten Schreibprojekt kein Infodump passiert, habe ich ein paar Tipps zusammengetragen, mit denen du dich selbst beim Schreiben zügeln kannst. Oder dein fertiges Manuskript auf Infodumps untersuchen kannst.
#1 – Die Informationen in die Handlung einbauen
Das Zauberwort heißt: Weniger erklären. Im Englischen auch: Show, don’t tell.
Wenn du das Gefühl hast, deine Informationen werden buchstäblich mit einem Lastwagen bei deinem Leser abgeladen, stell dir eine Frage: Wie kannst du den Infodump in eine aktive Handlung übersetzen?
Anstatt über einen Sachverhalt oder eine Eigenheit des Protagonisten zu erzählen, lass den Leser über die Handlung erkennen, wie die Figur tickt. Nicht der Erzähler sollte dem Leser darüber berichten – die Figur selbst kann es in Form einer Handlung tun. Vielleicht beschreibst du eine Alltagshandlung, in der wir erkennen, was für ein Typ der Protagonist ist. Oder wir zeigen eine Szene (vielleicht in einem Flashback), in dem wir sehen, wie der Protagonist so wurde, wie er nun ist.
Und auch die Welt selbst, das Setting unserer Geschichte, profitiert von Handlung. Anstatt darüber zu berichten, wie diese Welt aufgebaut ist, sollten wir Menschen zeigen, die in dieser Welt zuhause sind, oder wir folgen unserem Protagonisten, wie er sich in dieser Welt bewegt und wie er sie wahrnimmt.
Übrigens kannst du deine Exposition auf drei Ebenen aufbauen und den Leser mit auf die Reise nehmen: Zeig ihm die Welt. Lass die Handlung nicht stagnieren, sondern bewege den Plot vorwärts. Und zeig dem Leser, wie deine Figuren ticken – vor allem natürlich die Hauptfigur.
#2 – Nicht immer alles erklären wollen
Auch wenn wir unseren Leser in manchen Momenten an die Hand nehmen müssen: Wir müssen nicht immer alles erklären. Viele erklärende Details verhindern oftmals, dass unser Publikum selbst mitdenkt – und gerade beim Lesen eines Romans ist das doch das, was wir als Autoren erreichen wollen. Der Leser soll in unsere Welt eintauchen und sie in seinem Kopf wirken lassen und weiterentwickeln.
Aus diesem Grund sollten wir darauf verzichten, zu viel erklären zu wollen. Alles was nicht ungewöhnlich ist, kannst du so knapp wie möglich beschreiben – vor allem in der Exposition ist Knappheit eine Tugend. Im Kopf des Lesers entwickelt sich dann von selbst ein Bild. Wenn aber etwas von der Norm abweicht, dann ist es an der Zeit zu erklären, damit der Leser sich, wenn die Handlung später darauf zurückkommt, daran erinnert.
Aber: Wie viel erklärt werden muss, hängt häufig auch vom Genre ab, in dem wir unterwegs sind. Ein Fantasy-Roman mit einer ganz eigenen, ungewöhnlichen Welt funktioniert schließlich anders als ein rasanter Thriller.
#3 – Die Außenseiterrolle als Spiegel deiner Welt
Wenn sich alle Charaktere zu selbstverständlich in der Welt unseres Romans oder unseres Films bewegen, wird der Leser kaum etwas über diese Welt erfahren. Er kann sehen, wie sich Figuren verhalten, versteht aber die Hintergründe nur dann, wenn sie erklärt werden. Und da sind wir wieder beim Infodumping.
Wie kommen wir aus der Nummer raus? Die Lösung ist so simpel wie logisch – ein Außenseiter sieht die etablierte Welt mit ganz anderen Augen. Er hält ihr den Spiegel vor. Das kann sowohl der Protagonist als auch eine Nebenfigur sein. Beide Varianten haben ihren Reiz und lassen sich schon in der Exposition etablieren:
Angenommen, unser Protagonist ist die Figur, die von außen in die Welt kommt. Beispiel: Wir folgen einem unbeliebten, schüchternen Jungen, der sich für einen ganz normalen Teenager hält, in eine unbekannte Welt voller Magie und Zauberei. Gemeinsam mit ihm entdecken wir diese Welt, seine Fähigkeiten.
Unsere Hauptfigur kann zwischen Faszination und Abscheu schwanken, je nachdem, ob sie in eine „gute“ oder eine „böse“ Welt hineinkommt. Gemeinsam mit ihr können wir entdecken, hinterfragen, uns einlassen, ablehnen.
Andersherum kann aber auch die Hauptfigur fest in unserer Welt etabliert sein. Eine Figur von außen kommt während der Exposition in unsere Welt hinein, und versteht sie (zunächst) nicht. Dafür kann sie aber eine wichtige Funktion einnehmen: Sie hält unserer Welt (und damit auch unserem Protagonisten) den Spiegel vor, hinterfragt unsere Welt. Und bringt auf diese Weise auch unseren Protagonisten dazu, sich und seine eigene Welt zu hinterfragen.
Keine Frage: Aus dieser Perspektive wäre Harry Potter eine ganz andere Geschichte.
#4 – Die eierlegende Wollmilchsau: Kurz gefasst, aber detailliert
Manchmal muss man einfach ein bisschen Info am Stück loswerden. Wenn das so ist, kommen wir nicht drum herum, aber dann sollten wir uns an eine Faustregel halten: So lang wie nötig, aber so kurz wie möglich. Fokussieren wir uns also auf die wirklich wichtigen Details, und fassen uns dabei kurz! Außerdem sollten wir dabei darauf achten, dass der Zeitpunkt gut gewählt ist und zur aktuellen Handlung passt.
Eine elegante Möglichkeit, die Infos unterzubringen, ist ein Gedankenstrom: Wenn unser Protagonist mit einer Aussage oder einer Handlung konfrontiert wird, reagiert er (zumindest gedanklich) darauf. So können wir der Hauptfigur durch ihre Gedanken folgen – aber ohne nutzloses Zeug hineinzustopfen: auch hier sollten wir versuchen, einem realistischen Gedankengang zu folgen.
#5 – Der gefürchtete Flashback
Den Flashback habe ich weiter oben schon als eine Möglichkeit, ungewollten Infodump zu vermeiden, erwähnt. Allerdings sollten Flashbacks, egal zu welchem Zweck sie eingesetzt werden, mit Vorsicht angegangen werden. Ist er zu lang, steigt der Leser schnell aus. Zu kurz, und er trägt nicht wirklich etwas zur Handlung bei.
Wird er aber gut platziert und erzählt einen Sachverhalt, der wirklich relevant für den aktuellen Handlungsstrang ist, kann ein Flashback mehr als nur Informationen übermitteln und wird den Leser noch tiefer in den Plot hineinziehen. Dabei muss ein Flashback übrigens nicht zwingend in der Exposition stattfinden, er kann auch später eingesetzt werden. Gehört er aber zu den wiederkehrenden Erzählprinzipien unserer Geschichte, sollte er von Anfang etabliert werden.
Wenn wir also einen Flashback einsetzen müssen oder wollen, sollten wir eines bedenken: Nur wenn er mit der Handlung in direktem Bezug steht (oder aber spätere Handlung vorbereiten kann), und lebhaft geschrieben bzw. erzählt ist, bleibt der Leser dran. Der Flashback muss es also schaffen, bei aller Vermittlung von Information die Spannung des Plots aufrecht zu erhalten.
Infodumping in der Exposition bei der Überarbeitung aufspüren
Eins ist klar: Wir müssen alle notwendigen Informationen in unserer Geschichte unterbringen. Deshalb sollte auch nicht das Ziel sein, jegliches Infodumping schon in der ersten Fassung unserer Story krampfhaft zu vermeiden. Dieser Versuch bremst unsere Kreativität unweigerlich aus und wird das Buch, bzw. die einleitende Exposition, nicht zwingend besser machen.
Besser: Der erste Entwurf darf alles enthalten, was uns „on the road“ einfällt. Infodumping in der ersten Fassung ist keine Form, versagt zu haben. Wenn wir aber bei der Überarbeitung unserer Geschichte vergessen oder übersehen, die überflüssigen Informationssammlungen aus dem Manuskript zu löschen, hat unsere Geschichte ein Problem.
Während der Überarbeitung der Geschichte – und spätestens bei der Endfassung, die wir einem Lektor übergeben – müssen wir also den Infodump aufspüren. Unsere Story (und unsere Leser) werden es uns danken.