

Im ersten Teil dieses Beitrags ging es um die allgemeine Wahrheit („universal truth“) hinter einer Filmidee, die es schafft, dass sich eine Vielzahl von Zuschauern mit der Story eines Films identifizieren kann. Nicht jede Idee ist dazu bestimmt, ein Film zu werden, manchmal ist sie auch etwas ganz anderes. Eine Geschichte muss aber noch mehr können, um ein Erfolg zu werden: Mit einer zentralen dramaturgischen Frage bringt sie den Zuschauer dazu, einen Blick hinter die Geschichte bzw. den Plot zu werfen.
Die zentrale Frage ist ein wesentliches Element eines Films, aber auch einer Serie oder eines Romans. In jeder Form der Literatur kommen wir ohne dieses dramaturgische Element nur schwerlich auf einen grünen Zweig, können nur in Maßen unseren Zuschauer oder Leser mit auf die Reise nehmen. Aber bleiben wir für einen Moment bei der Filmidee an sich: Finden wir heraus, was eine Filmidee ausmacht, sie sozusagen im Innersten zusammenhält.
Anfang, Mitte und Ende einer Filmidee
Fangen wir mal ganz klassisch an: Eine Filmidee braucht einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Das ist nicht neu, darf aber auch nicht in Vergessenheit geraten. Wir können unsere Idee also folgendermaßen anhand eines bereits existierenden Beispiels ausdrücken:
Die Geschichte startet mit einer Sprachwissenschaftlerin, die ihre Tochter an den Krebs verliert. In der Mitte der Geschichte enträtselt sich im Auftrag der Regierung mit einem Physiker die Sprache von außerirdischen Wesen, die auf der Erde gelandet sind. Am Ende der Geschichte erkennt sie, dass sie sich durch die neuartige Kommunikation an die Zukunft „erinnert“ und verhindert den drohenden Weltkrieg. Trotz ihres Wissens entscheidet sie sich für die bereits gesehene, traurige Zukunft gemeinsam mit ihrem Kind.
So ließen sich der Anfang, die Mitte und das Ende des aktuellen Kinofilms Arrival zusammenfassen. Natürlich würde jeder einen Film wie diesen etwas anders in Worte fassen, aber betrachten wir es als Beispiel. Wenn wir an einer Filmidee arbeiten, haben wir in der Regel zunächst nur unsere Idee zur Verfügung, deren Anfang, Mitte und Ende wir ermitteln müssen, und keinen vollständigen, bereits geschriebenen und produzierten Kinofilm.
Anfang, Mitte und Ende einer Serienidee
Bei einer Serie sieht es natürlich etwas anders aus. Das Ende ist hier tatsächlich häufig erst einmal weniger relevant, trotzdem benötigt aber jede Episode und natürlich auch jede Staffel ein (zumindest vorläufiges) Ende. Bei einer episodisch erzählten Serie ist der Fall klar: Da jede Folge eine eigene Handlung erzählt, muss diese auch zu einem Ende gebracht werden. Das Ende der Staffel bleibt bei einer solchen Serie häufig ungenau – die nächste Staffel kann hier anknüpfen, aber auch mit einem ganz neuen „Fall“ weitermachen, ohne dass die Hauptfiguren sich merklich weiterentwickelt haben. Sie sind in erster Linie das Vehikel, auf deren Schultern die Fälle der einzelnen Episoden ausgetragen werden.
Umgekehrt verhält es sich bei einer horizontalen Serienidee: Während hier die einzelnen Episoden eher Fragen aufwerfen als sie zu beantworten, sollte hingegen das Staffelende frühzeitig feststehen, um während der einzelnen Episoden darauf hinarbeiten zu können. Horizontale Serien wie Stranger Things, Fargo oder House of Cards lassen Handlungsstränge innerhalb einzelner Episoden offen, werfen Fragen auf und arbeiten gleichzeitig auf ein starkes Staffelfinale hin, indem sie am Ende jeder Episode einen deutlichen Cliffhanger setzen, der mehr oder minder zum Weiterschauen zwingt, sofern uns die Serie denn als Ganzes anspricht.
Da sind wir wieder an dem Punkt, den ich bereits im ersten Teil dieses Beitrags angesprochen habe: Nicht jede Idee eignet sich für jedes Format. Passen Anfang, Mitte und Ende in einen anderthalbstündigen oder zweistündigen Film, haben wir es ziemlich eindeutig mit einer Filmidee zu tun. Lässt sich die Geschichte besser in drei, vier oder gar zehn Stunden erzählen, ohne langweilig zu werden oder sich zu wiederholen, sind wir in einem Mehrteiler, einer Mini-Serie oder einer Serie unterwegs.
Das Zentrum einer Filmidee: Figuren und Ziele
Ganz egal, ob wir uns mit unserer Idee auf eine Heldenreise begeben oder nicht: Ein Film (und auch eine Serie) dreht sich immer um seine (ihre) Figuren. Während im wissenschaftlichen Schreiben eine Idee, eine Philosophie im Vordergrund stehen kann, kann eine literarische Form des Erzählens nicht ohne Figuren auskommen – und zwar von der Kurzgeschichte bis zum Roman, vom Kurzfilm über das TV-Movie bis zur High Quality Serie.
Die Literatur handelt von mehr als nur beliebigen Figuren: Ihre Geschichten handeln von Figuren, die ein Ziel vor Augen haben – ein Ziel, das als solches erkennbar und (aus der Figur heraus, nicht zwingend aus dem Zuschauer) nachvollziehbar ist. Die Heldenreise ist nur eine von vielen Formen, eine Figur durch eine Geschichte zu leiten, doch verdeutlicht sie das Prinzip auf den ersten Blick. Auch eine nach ganz anderen Prinzipien gebaute Geschichte wird Figuren in sich haben, die ein Ziel verfolgen. So deutlich, dass wir schnell erkennen, was sie in dieser oder jener Situation, bzw. im gesamten Film, erreichen möchten.
Bleiben wir für einen Moment beim Prinzip Film, denn die Ziele einer Figur unterscheiden sich im Bezug auf eine Serie. In der Regel ist ein Film (und damit auch seine Handlung) nach 90, 120 oder auch 180 Minuten abgeschlossen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen auch unsere Figuren ihr Ziel erreicht haben. Wird ihr Ziel nicht erreicht, kann die gesamte Geschichte zu keinem zufriedenstellenden Abschluss kommen. Ängste müssen besiegt, der Partner fürs Leben gefunden, die Welt gerettet werden. Punkt. Die Handlung ist abgeschlossen.
Serienfiguren und ihre Ziele
Anders wiederum verhält es sich bei der Serie. Hier geht es darum, den Figuren das Erreichen ihrer Ziele möglichst lange zu verweigern, um die Serie am Laufen zu halten. Die Alternative besteht darin, ein Ziel am Ende einer Staffel zu erreichen. Aber gerade durch das Erreichen wird ein neues, größeres oder wichtigeres Ziel erzeugt, das einen Ausblick auf die nächste Staffel bietet.
Aus gutem Grund sind Geschichten wie Stranger Things, Sitcoms wie Big Bang Theory oder Klassiker wie Sex and the City und Krimis wie Navy CIS und Bones Serien und keine Filme. Ihre Figuren verfolgen zwar das eine oder andere Ziel, diese sind aber weder so drängend wie die Ziele starker Filmfiguren noch lassen sie sich in zwei Stunden auserzählen. Die Figuren von Serien leben davon, dass sie sich langsam, Woche für Woche, Folge für Folge und Staffel für Staffel weiterentwickeln dürfen. Sie verändern sich, sie verlieben sich, sie trennen sich, sie lernen mit dem Leben umzugehen, und wir schalten über Wochen, manchmal über Jahre hinweg ein, um ihnen dabei zuzusehen.
Eine solche Geschichte trägt sich nicht durch die Abgeschlossenheit von Handlungen und Zielen. Sie trägt sich durch den langen Weg zu einer Veränderung. Vielleicht hat eine Figur ein Episodenziel, vielleicht ein Staffelziel. Vielleicht erreicht sie es, vielleicht nicht. Und genau darin liegt der Reiz.
Teil 1 dieser Reihe beschäftigt sich mit Erzählformen und universeller Wahrheit.
In Teil 3 liest du in Kürze mehr über Raum und Zeit einer Filmidee.