

Dass bei der Stoffentwicklung für eine neue Serienidee oder einen neuen Filmstoff erst mal eine Menge geistiger Abfall produziert wird, ist jedem spätestens dann klar, sobald er seine erste intensive Brainstorming-Session hinter sich hat. Bis das Gehirn so richtig in Fahrt kommt, wirft es nämlich erst mal alles raus, was an der Oberfläche schwimmt.
Und da flitzt eine Menge rum: Oft sind die ersten Ideen, die uns einfallen, solche, die von bereits Gesehenem, Gelesenem, Erlebtem inspiriert sind, und zwar mehr oder weniger ungefiltert. Um aber an die wirklich guten Ideen ranzukommen, die Ideen, die einen eigenen Ansatz haben, einem bekannten Plot einen neuen Twist geben oder sich in ihrer Erzählweise grundlegend von anderen unterscheiden, lohnt es sich, tiefer zu graben, und sich Zeit für die Stoffentwicklung zu nehmen. Ein Schnellschuss bleibt oft nicht mehr als das: ein Schuss ins Blaue.
Keine Stoffidee entsteht von jetzt auf gleich, und sollte sie es, ist es an uns, diese Idee, diesen Ansatz auf das zu überprüfen, was ich jetzt einmal Rückgrat nennen möchte. Das Rückgrat einer Geschichte sagt mir, ob diese Idee Bestand haben wird, ob sie gegen bereits gemachte Stoffe bestehen kann, ob sie aktuell und relevant ist. Parameter, nach denen sich eine Stoffidee untersuchen lässt, gibt es viele.
Mögliche Fragen, die wir uns zu diesem Zeitpunkt stellen sollten, sind:
- Gibt es die Geschichte so oder ähnlich bereits?
- Lässt sich die Vorlage mit einem neuen Twist adaptieren?
- Ist der Stoff aktuell?
- Ist der Stoff gesellschaftlich/politisch/historisch/künstlerisch/… relevant?
- Ist die Geschichte dicht genug? Bietet sie Raum für genügend Twists?
- Gibt es eine Zielgruppe für diese Idee?
- …
Schon ganz am Anfang der Stoffentwicklung lässt sich eine Idee auf all diese Parameter hin überprüfen. Manche Ideen klingen im ersten Gang vielversprechend. In der weiteren Entwicklung jedoch stellt sich heraus, dass sie nur für den ersten Akt eines Spielfilms ausreichen, und nicht, wie zunächst gedacht, einem ganzen Film oder gar einem Serienformat standhalten.
Dann müssen wir weiterdenken und weiterentwickeln, und wenn dies im Sande verläuft, müssen wir die Idee (zumindest vorerst) begraben. Ich habe mir für solche Ideenschnipsel, mit denen ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht weiterkomme, angewöhnt, sie in eine Art Übergangsschublade zu legen. Dort schaue ich immer mal wieder rein und finde dort manchmal zu einem ganz anderen Zeitpunkt, für eine ganz andere Idee, einen Schnipsel, den ich doch noch verwenden kann.
Andere Ideen sind sehr ähnlich zu anderen, bereits verfilmten Film- oder Serienstoffen. Ein großes Problem der modernen Drehbuchentwicklung ist, dass im Laufe der Film- und Fernsehgeschichte längst jede Art von Geschichte mindestens ein Mal erzählt worden ist. Es liegt also in unserer Hand, bekannte Geschichten und bekannte Konflikte immer wieder neu zu erfinden.
Ein nicht zu unterschätzender Vorteil: Immerhin machen wir erst seit rund 130 Jahren Film, die Romanwelt dagegen blickt auf eine Tradition zurück, die mehrere Jahrhunderte umfasst. Dass es trotzdem jedes Jahr eine Vielzahl neuer Romane gibt, die sich selbst immer wieder neu erfinden, lässt uns für die Film- und Serien-Stoffentwicklung hoffen.
Unterschiedliche Herangehensweisen
Wie wir an die Stoffentwicklung herangehen, hängt eng mit unserem persönlichen Ziel zusammen. Kunst- und Arthouse-Filme, sowie Genrefilme werden oftmals ausschließlich in Hinsicht auf den Stoff selbst und dessen Integrität entwickelt.
Wer aber mit seinem Projekt kommerziellen Erfolg oder eine kommerzielle Auswertung anstrebt, sollte bereits in der Entwicklungsphase den Blick auf den Markt nicht außer Acht lassen. Weder die eine noch die andere Variante ist richtig oder falsch. Es gibt Stoffe, die allein aus sich heraus bestehen und durch eine marktorientierte Denkweise in ihrer freien Entfaltung behindert werden können.
Andere Stoffe dagegen, die ganz gezielt auf einen bestimmten Sendeplatz hin entwickelt werden oder den Anforderungen eines Förderprogramms entsprechen müssen, müssen dagegen die Marktentwicklung verfolgen und deren Ansprüchen gerecht werden, um in ihrem jeweiligen Marktsegment bestehen zu können.
Die Idee im Fokus – Stofforientierte Entwicklung
Was heißt eigentlich „stofforientiert“ entwickeln? Für mich bedeutet das, dass ganz klar die Idee und ihre Aussage im Vordergrund der Entwicklungsarbeit stehen. Auch einen solchen Stoff entwickeln wir zwar auf eine bestimmte Zielgruppe hin. Diese ist aber tendenziell eher klein und entspricht nicht unbedingt dem Mainstream.
In der deutschen Film- und Serienlandschaft fällt mir immer wieder auf, dass insbesondere Genrestoffe (Horror, Fantasy, Sci-Fi und Thriller) nicht in den üblichen Marktsegmenten der Sender sowie des Kinos auftauchen und daher anders hergestellt und entwickelt werden müssen als Dramen, Komödien und Fernsehformate.
Sind die Produktionsbedingungen aber nicht an Marktvoraussetzungen gebunden, wird es notwendig, alternative Finanzierungsmittel zu finden. Gleichzeitig eröffnen sich aber auch Freiheiten in der Stoff- und Drehbuchentwicklung, die dem Stoff ein großes Potenzial bieten können.
Wenn ich nämlich in der Entwicklung nicht an die Erwartung eines Sendeplatzes und einer Redaktion oder an ein bestimmtes Erzählschema gebunden bin, kann ich mich voll und ganz auf mein Genre und meinen Stoff konzentrieren. Die einzigen Erwartungen, die ich erfüllen „muss“, sind die Erwartungen des Zuschauers an ein bestimmtes Genre – ich muss mich also innerhalb meines Genres gut auskennen und beispielsweise typische Elemente eines Thrillers oder eines Horrorfilms bedienen, um meine schmale Zielgruppe zu überzeugen.
Stofforientiert denken in unterschiedlichen Formaten
Dass der Stoff spannend sein und genügend Twists bieten muss, um über 90 oder 120 Minuten nicht zu langweilen, versteht sich von selbst. Dazu muss ich in der Stoffentwicklung das beachten, was ich schon vor einigen Wochen thematisiert habe. Die Dichte der Stoffidee ist es letztlich, die das Format beeinflusst.
Plane ich eine Serie, stelle aber auf halber Strecke fest, dass der Spannungsbogen nur für einen 90-Minüter ausreicht, und dieser Bogen sich nicht genug ausweiten lässt, um ein serielles Format zu erzählen, kann es sinnvoll sein, umzudenken und stattdessen einen Spielfilm zu entwickeln. Umgekehrt kann ich aber auch in der Spielfilmentwicklung feststellen, dass die Geschichte so episodenhaft angelegt ist, dass sich die Idee als Webserie besser verkaufen lässt.
Im Fokus aber steht – und das sollten wir zu keinem Zeitpunkt der Entwicklung vergessen – der Stoff an sich. Jede Entscheidung treffen wir allein zugunsten des Stoffes, zugunsten der Konflikte, der Figuren und des Handlungsbogens. Das Format und die Erzählform ordnen sich dem Stoff unter.
Die Idee auf dem Markt unterbringen – Marktorientierte Stoffentwicklung
Anders sieht die Sache aus, wenn mein Stoff zu einer bestimmten (kommerziellen) Zielgruppe, einem Sendeplatz oder einer Filmförderanstalt passen soll. In diesem Fall gibt es bestimmte Aspekte, die im Rahmen der Entwicklung bedacht und beachtet werden müssen. Nur dann hat die Idee eine reelle Chance, überhaupt produziert zu werden.
Hier verhält es sich so, dass sich der Stoff den äußeren Anforderungen unterordnet; jedenfalls insofern, als Format, Sendeplatz und Zielgruppe betroffen sind. Eine kommerzielle Auswertung oder Produzierbarkeit bringt mit sich, dass zwar immer noch die Idee ausschlaggebend ist, sie aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss.
Abhängig vom Sendeplatz oder den Fördermöglichkeiten muss sie beispielsweise auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten sein (z. B. Weiblich, 16-25 Jahre; Männlich, 25-49 Jahre), eine gesellschaftliche Relevanz oder Aktualität besitzen oder vergleichbar mit den anderen auf diesem Sendeplatz laufenden Programmpunkten sein (z. B. Sat.1, Dienstag, 20 Uhr 15; ZDF, Sonntag, 22 Uhr 15).
Was die Quote mit der Stoffentwicklung zu tun hat
Weil Fernsehsender und auch das Kino auf eine bestimmte Anzahl von Zuschauern (die sogenannte „Quote“ bzw. verkaufte Tickets) angewiesen sind, verhält sich dabei oftmals die Produzierbarkeit bzw. Finanzierbarkeit proportional (bzw. umgekehrt proportional) zum künstlerischen Anspruch einer Filmidee.
Anspruchsvolle Dramen wie OH BOY (2012), DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI (2004), DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) oder zuletzt TONI ERDMANN (2016) stellen sich oft als Lieblinge der Filmförderung heraus. Sie finden auch eine Resonanz in den Feuilletons großer Tages- und Wochenzeitungen. Zuweilen schaffen sie es sogar bis in die Oscarnominierungen als bester fremdsprachiger Film. In Deutschland aber erreichen sie oft nur in Einzelfällen ein größeres Publikum. An Stelle der Auswertung im heimischen Kino strebt man mit diesen Formaten eine internationale Festivalauswertung an.
TV-Formate allerdings lassen den künstlerischen Anspruch oft vermissen. Auf Sendern, die auf Reality-Serien und Show-Formate setzen, findet man nur selten anspruchsvolle, herausstechende Serien oder Filme. Und auch die öffentlich-rechtlichen Sender verfahrengerne nach bekannten und erprobten Mustern. Obwohl ihnen die Quote rein finanziell egal sein könnte, brechen sie das Bekannte nur ungern auf. Um hier einen Stoff zu platzieren, muss der Autor bzw. Entwickler (Creator) sowohl Sender als auch dort funktionierende Formate bestens kennen.