

Virtual Reality ist in aller Munde und gilt – nicht ohne Grund – als eine der wegweisenden Technologien für die kommenden Jahre. Kein Wunder; schließlich entwickelt sich die Technik schneller weiter als wir gucken können, VR Labs schießen aus dem Boden, und nicht nur die großen Spielekonsolen-Hersteller, auch YouTube macht längst in 360° und VR. Höchste Zeit, einen Blick auf das Thema VR Storytelling zu werfen.
Wer noch nie eine VR Brille aufgesetzt hat, gehört zu einer aussterbenden Spezies. Mit günstigen Modellen, in die sich ganz einfach das eigene Smartphone einlegen lässt, wird die Technologie mehr und mehr Usern zugänglich gemacht. Gemeinsam mit Storyville-Podcast-Kollege Konstantin Georgiou und Autorin Juli Pieper habe ich in Berlin eine VR Experience der besonderen Art besucht. Im Exit VR, einem virtuellen Escape Room, haben wir uns auf die Suche nach Huxley gemacht – was es damit auf sich hat, dazu gleich mehr.
Vor der Experience
Die eine oder andere YouTube VR Experience, VR Apps und VR Brillen habe ich schon hinter mir. Auch Controller habe ich schon in der Hand gehabt, um mich auf einem (in der Realität) eng begrenzten Quadrat durch virtuelle Welten zu bewegen. Was neu ist, ist die Verbindung von virtueller Welt mit dem weitreichend bekannten Konzept des Escape Rooms. Überhaupt muss ich zugeben, noch nie einen Escape Room von innen gesehen zu haben – auch keinen konventionellen.
Mit VR aber habe ich mich in den letzten Wochen und Monaten hinreichend beschäftigt: Nach der ersten Brille, die Ende 2017 ihren Weg in mein Zuhause gefunden hat, ging es im Februar an die Frage, was VR für Autoren bedeuten kann. Welche Chancen stecken von Autorenseite in der neuen Technologie? Um diese Frage drehte sich ein zweitägiger „Schreiben für VR“-Workshop von und mit INVR und Scriptmakers.
VR aus Autorensicht
Wer schreibt eigentlich VR-Inhalte? Wo ist die Schnittstelle, an der sich Designer, Concept Artists und Autoren treffen? Wie können sich Drehbuchautoren und Autoren im Allgemeinen im Bereich VR positionieren? Zwar ist Virtual Reality immer filmisch und somit eigentlich eindeutig im Metier der Drehbuchautoren angesiedelt. Gleichzeitig erfordert die Involvierung des Viewers ins Geschehen auch eine Annäherung an die Welt der Computerspiele. Und weil niemand so richtig zu wissen scheint, wo die (virtuelle) Reise hingehen soll und jeder erst mal ausprobiert, was geht, weichen die Verantwortungsbereiche auf. Ergo: Wer VR produziert, schreibt in der Regel auch erst einmal die Skripte.
Trotzdem ist VR für Autoren alles andere als langweilig. Denn die erhöhte Nachfrage nach Inhalten ruft mehr und mehr Unternehmen auf den Plan, die VR Clips produzieren. Und obwohl Virtual Reality noch immer vor allem in der Werbung und in der Wissenschaft genutzt wird, eröffnen sich doch bereits erste Chancen für komplett story-orientierte Produktionen. Doch was Schreiben für VR eigentlich bedeutet und wie VR Storytelling funktioniert, muss erst mal gelernt werden: Einen Raum zu erschaffen, der 360° umfasst und nur bedingt bewegt und szenisch sein darf, das ist für Drehbuchautoren nämlich durchaus eine Herausforderung.
Exit VR Berlin: Auf Huxley-Rettungsmission
Dass Virtual Reality und Escape Room ziemlich gut zusammenpassen, ist im Exit VR in Berlin schon nach wenigen Minuten klar. Wir werden hervorragend betreut und an unsere Mission herangeführt. Das erste deutsche Virtual Reality Live Abenteuer wirft uns in die digitale 3D-Welt des Jahres 3007. Die Erde, wie wir sie heute kennen, existiert nicht mehr – sie ist nur noch ein lebloser Schrotthaufen. Doch genau dorthin verschlägt es uns. Die Aufgabe: Als letzte Überlebende einer Raumstation müssen wir dem Roboter Huxley helfen, seine Seele zu befreien und die Apokalypse rückgängig machen.
Schon auf den ersten Metern zeigt sich, warum Exit VR sowohl dem konventionellen Computerspiel als auch dem klassischen Escape Room überlegen ist: Die virtuelle Welt umgibt uns von allen Seiten, und lässt uns von Level zu Level in unterschiedlichste Umgebungen springen. Das Ganze erinnert stark an Computer- und Konsolenspiele. Darf es auch, und trotzdem steckt hier eine ganze Menge Storytelling drin.
Zurück zum VR Storytelling: Was sich aus dem virtuellen Escape Room lernen lässt
Die wohl wichtigste Erkenntnis (und Anlass zur Freude) ist, wie erwartet: Ohne Storytelling geht hier mal gar nichts. Doch es lässt sich noch einiges mehr aus dem VR Abenteuer lernen und für das eigene Schreiben ableiten:
- Nicht zu viel in Bewegung denken: Motion Sickness ist ein Phänomen, das an die Reisekrankheit erinnert. Obwohl das Gehirn eine visuelle Bewegung wahrnimmt, kann das Innenohr (verantwortlich für das Erkennen von körperlicher Bewegung) diese nicht einordnen.
- In alle Richtungen des Raums denken: Wer 360° produziert, muss diese auch bespielen. Wohin der Viewer schaut, lässt sich nämlich nur in Maßen lenken. Wäre doch schade, wenn er sich umsieht und es rein gar nichts zu sehen gibt.
- Einen Grund finden, warum eine Idee nur (und ausschließlich) in VR umgesetzt werden muss. Einige Ideen kommen einfach besser, wenn sie klassisch filmisch aufgelöst werden. Und das ist auch noch günstiger zu produzieren.
- Sich von Spielen inspirieren lassen: Der Viewer erwartet, aktiv zu sein und mit der Welt zu interagieren. Und dabei sollte ihm die VR Experience auch helfen.
- Die Sichtweise des Viewers festlegen: Es ist ein wichtiger Unterschied, ob der Viewer aus der Ich- oder der Er-Perspektive wahrnimmt, was passiert. Die Ich-Sicht ist (ähnlich wie im Ego-Shooter) eine deutlich intensivere Erfahrung.
- In neuen Formaten denken und schreiben: Das Skript für VR sieht anders aus als ein konventionelles Drehbuch. Weil sich noch keine Notationsform durchgesetzt hat, gibt es diverse sinnvolle Ansätze. Die umfassen neben der Handlung auch Sounds und Blickrichtungen.
- Die Story im Setting suchen: Egal ob wir in realen oder digitalen Welten denken – VR gibt uns die Möglichkeit, die Story noch mehr im Setting zu verankern als im konventionellen Film oder TV. Alles, was der Viewer sehen oder anfassen kann, sollte von Bedeutung für die Story sein.
- Die Dynamik des Raums nutzen: Anders als im szenischen Schnitt ist der Raum nicht starr, sondern dynamisch. Der Viewer kann sich umsehen und genau das, was er tun soll, ignorieren. Mit der Dynamik von Raum und Sound aber lässt sich sein Blick (zumindest bedingt) lenken.
- Einen gedanklichen Ausflug ins Theater machen: Der dreidimensionale Raum erinnert nicht umsonst an eine Theaterbühne. Anders als im Film kann der Zuschauer auch hier seine Aufmerksamkeit selbst lenken und bestimmte Teile der Bühne bzw. Szene genauer betrachten, ist also handlungsfähiger als ein Kinozuschauer, der gezwungen ist, dem Schnitt zu folgen.
- Sich nicht an Regeln halten: Das beste an VR ist, dass wir uns in einer Phase des Ausprobierens befinden. Ein starres Regelwerk gibt es noch nicht. Sich an Richtlinien zu halten, ist sicher nicht verkehrt, aber die dürfen auch gebrochen werden. Vielleicht entstehen daraus ja neue Regeln.