

Schreiben ist eine Leidenschaft. Haben wir etwas im Kopf, und ist es „reif“, will es raus. Koste es, was es wolle. Manchmal heißt schreiben: Alles loswerden und den Kopf frei schreiben. Das kann ungefiltert passieren, aber Schreiben kann auch ein sehr bewusster, gefilterter Prozess sein. Einer dieser Filter, den wir beim Schreiben im Kopf haben können, und sollten, wenn wir auf eine Veröffentlichung hinschreiben, ist unsere Zielgruppe. Denn das, was einfach nur dahingeworfen wird, weil es rauswill, besitzt selten eine Qualität, die einer Veröffentlichung würdig ist, oder die eine relevante, größere Zielgruppe erreichen kann.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber nicht ohne Recht steht zwischen einer Schreibphase und der Veröffentlichung die Überarbeitung. Ganz egal, ob wir einen Blogartikel, eine Kurzgeschichte, einen Roman oder einen Ratgeber schreiben. Oder ein Drehbuch.
Überarbeiten heißt aber nicht nur sprachlich polieren und straffen, es heißt auch zuschneiden auf die Menschen, von denen wir hoffen, dass sie lesen oder sehen, was wir geschrieben haben. Die Zielgruppe, das Zielpublikum spielt eine wesentliche Rolle bei der Überarbeitung – und wenn wir gefiltert schreiben, auch schon während des Schreibens selbst.
Was bedeutet Schreiben für eine bestimmte Zielgruppe?
Die Kunst aller begnadeten Autoren – und da gibt es so einige, die ich schätze, sowohl im Roman als auch im Fachbuch oder im Drehbuch – ist, den Leser (oder den Zuschauer) mit auf eine Reise zu nehmen. Um ihn aber mitnehmen zu können, ihn an unsere Figuren heranzuführen und in den Verlauf unserer Geschichte zu verwickeln, müssen wir unseren Leser/Zuschauer verdammt gut kennen. Und nicht nur ihn, auch seine Weltanschauung, seine Haltung und seine Erwartungen an Unterhaltung.
Kennen wir unsere Zielgruppe, hat das wiederum Auswirkungen auf die Art, wie wir schreiben: Das Alter, die Herkunft und der Bildungsstand unserer Zielgruppe bestimmen, welches Vokabular wir benutzen, ob unsere Sätze lang und verschachtelt oder kurz und einfach sind.
Ein Roman für Kinder ab 12 Jahren benutzt eine andere Sprache als ein Thriller für Erwachsene. Ein Ratgeber für Schreibanfänger ist anders aufgebaut als ein Fachbuch für erfahrene Autoren. Ein Drehbuch für eine halbstündige Nachmittagsserie fühlt sich anders an als eins für einen hochwertigen Film im Abendprogramm oder für eine Serie im Pay TV.
Wie aber finden wir heraus, wie unsere Zielgruppe tickt? Was wir ihr zumuten können und wo sie sich wohlfühlt? Womit wir sie aus der Reserve locken können, damit sie nicht mehr loskommt von unserem Produkt? Nachfolgend habe ich jeweils einen kurzen Fragenkatalog für die Eingrenzung der Zielgruppe eines Drehbuchs und eines Romans zusammengestellt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.
1. Die Zielgruppe für ein Drehbuch definieren
Drehbücher fallen an dieser Stelle ein bisschen aus dem Rahmen – und tun es doch nicht. Zwar ist ein Drehbuch an sich sprachlich nicht so ausgefeilt wie ein Roman oder ein Sachbuch, doch müssen wir bei der Entwicklung des Plots und der Geschichte die Zielgruppe im Kopf haben, für die wir diesen Film oder diese Serie schreiben. Eng mit der Zielgruppe hängt dann auch das Sujet eines Drehbuchs zusammen, und folglich auch der Sender, für den wir schreiben, bzw. dem wir unsere Idee anbieten.
Vor allem wenn wir fürs Fernsehen schreiben – und letztlich schreiben die meisten Drehbuchautoren nach wie vor nicht etwa für das Kino – sind wir an die Zielgruppen gebunden, die mit den Sendeplätzen einhergehen. Der Zuschauer bringt, wenn er den Fernseher anmacht (selbst wenn er nicht mehr analog schaut) eine gewisse Erwartungshaltung mit. Deshalb sollten wir uns immer sehr genau mit der Zielgruppe eines Senders auseinandersetzen, bevor wir ihm einen Stoff vorschlagen.
Die Zielgruppe definieren – Fragenkatalog für ein Drehbuch:
- Welches Alter hat meine Zielgruppe?
- Sind die Zuschauer eher männlich oder weiblich oder gemischt?
- Wo soll das Produkt laufen? Ist es eher fürs Kino, für klassisches Fernsehen, für Pay TV/Streaming oder für Youtube geeignet?
- Welche ähnlichen Projekte haben viele Kinobesucher oder gute Quoten/Klickzahlen erzielt?
- Für welche Themen interessieren sich die Zuschauer?
- Ist meine Zielgruppe konservativ oder aufgeschlossen?
- Welchen Bildungsstand hat die Zielgruppe?
- Welchen Erfahrungshorizont hat die Zielgruppe? Welche Filme/Serien kennt sie?
- Welcher sozialen Schicht gehört die Zielgruppe an?
- (In Abhängigkeit vom Thema deines Projekts lässt sich die Liste beliebig erweitern)
2. Die Zielgruppe für einen Roman definieren
Anders als ein Drehbuch, das sich im Verlauf der Dreharbeiten und in der Arbeit des Regisseurs mit den Schauspielern noch verändert, ist die Sprache das Vehikel eines Romanautors, mit dem er mit seinen Lesern in Kontakt tritt. Die Art, wie die Sätze gebaut sind, welches Vokabular verwendet wird und ob die Kapitel lang oder kurz sind, trägt dazu bei, ob ein Buch verschlungen wird oder der Leser sich durch die Geschichte quälen muss.
Um das zu verdeutlichen, greife ich auf ein Beispiel zurück – die Landschaftsbeschreibung. Manche mögen sie, andere nicht, weil sie die Handlung nicht vorantreibt; ob man sie braucht oder nicht will ich hier gar nicht zur Diskussion stellen. Fakt aber ist, und das ist meine persönliche, subjektive Meinung, dass die Landschaftsbeschreibungen in Tolkiens LORD OF THE RINGS vor meinen Augen ein Bild von Mittelerde aufgehen ließen, während sie mich in Karl Mays WINNETOU-Romanen langweilten. Ausufernd waren sie beide, aber der eine hatte eine Sprache, zu der ich einen Zugang fand, der andere nicht.
Wenn wir einen Roman schreiben, sollten wir also unsere Zielgruppe kennen. Und dabei geht es nicht nur um sprachliches Handwerkszeug, denn das ist in vielerlei Punkten reine Geschmacksache, sondern wiederum auch um den Aufbau, die Figuren und die Handlung an sich.
Die Zielgruppe definieren – Fragenkatalog für einen Roman:
- Für welche Altersgruppe schreibe ich? Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene?
- Schreibe ich für Frauen oder Männer oder für beide?
- Welches Genre schreibe ich und wer interessiert sich dafür?
- Schreibe ich hohe Literatur oder leichte Unterhaltung?
- Leben meine Leser eher in der Stadt oder auf dem Land?
- Welchen Erfahrungshorizont haben meine Leser?
- Mit welchen Werken ist mein Roman vergleichbar und wer ist dort die Zielgruppe?
- Welche Bildung sollten Leser meines Romans mitbringen? Benötigen sie Allgemeinwissen?
- In welcher sozialen Schicht ist mein Leser zuhause?
- (In Abhängigkeit vom Thema des Romans lässt sich auch diese Liste beliebig erweitern)
Praxistipp: Mit der Zielgruppe ins Gespräch kommen
Klingt komisch – ist es irgendwie auch. Ich jedenfalls komme mir seltsam vor, wenn ich sprichwörtlich auf die Straße gehen soll, um mit fremden Menschen über mein Projekt zu sprechen. Trotzdem kann aber gerade ein solches Experiment den Anstoß zu neuen Entwicklungen geben – denn im Gespräch mit Menschen, die vermeintlich zu einer bestimmten Zielgruppe gehören, zu sprechen und ihnen von einem geplanten Drehbuch oder Roman zu erzählen, zeichnet ein Bild der Realität, das wir uns vor dem Bildschirm nicht ausmalen können.
Ein solcher Realitäts-Check kann brutal sein. Aber er kann auch dazu beitragen, dass wir danach ein besseres Buch schreiben. Weil wir z. B. herausgefunden haben, dass unsere Zielgruppe das Projekt gar nicht gut findet. Oder dass eine Figur einfach nicht sympathisch ist, obwohl sie unsere Hauptfigur sein soll. Dass wir am Thema vorbeigearbeitet haben. Wissen wir das nicht, arbeiten wir weiter an der Realität vorbei. Sprechen wir aber mit den Menschen, die unser Drehbuch oder unser Roman etwas angehen soll, können wir das Projekt noch stärker auf sie ausrichten, ohne dabei das zentrale Thema aus den Augen zu verlieren, um das es UNS geht – denn das sollte immer im Mittelpunkt stehen.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hey, du sprichst vom Anbieten des Drehbuchs: Wie genau schaffe ich es mit einem Drehbuch an einen Fernsehsender heranzutreten? Hinschicken wie beim Verlag? Oder zuerst die Idee absegnen lassen? Oder gibt es unter Umständen auch festangestellte Drehbuchautoren?
LG Katharina
Hi Katharina, das ist eine gute und wichtige Frage, für die es keine pauschal gültige Antwort gibt. Ein Manuskript einfach an den Sender zu schicken bringt in der Regel ungefähr genauso viel wie eine unverlangte Einsendung bei einem Verlag. Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht gelesen. Eine mögliche Anlaufstelle ist einer der Redakteure, die für den Sender arbeiten, allerdings solltest du dein Buch nicht wahllos an irgendeinen Redakteur schicken. Mein Tipp: Informiere dich im Programm des Senders, welche Formate dort laufen, die ähnlich deinem Drehbuch sind, und finde heraus, welcher Redakteur für diese zuständig ist. Das heißt leider immer noch nicht, dass er dein Buch auch liest (Redakteure bekommen seeehr viel zu lesen auf den Tisch), aber es landet dann zumindest bei der richtigen Person. Viele Grüße, Christine